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Gleich nebenan erstreckt sich eine vom "Landwirtschaftsministerium geförderte Grünbrache", wie auf einem Schild mittendrin zu lesen ist. Früher nannte man so etwas auch Wiese. Doch so profane Ausdrücke werden der vermeintlichen Bedeutung nicht gerecht handelt es sich doch, wie jeder in Kautzen weiß, um den legendären UFO-Landeplatz.
Schlechte Aussichten. Auf den ersten Blick hat Kautzen den extraterrestrischen Beistand auch dringend nötig. Die 64 Vollerwerbsbauern kämpfen ums Überleben in der EU, vor 20Jahren waren es noch doppelt so viele; zwischen 1971 und 1991 nahm die Dorfbevölkerung um 17 Prozent ab, heute leben hier nur mehr rund 1.350 Menschen, die größte Gruppe stellen mit 28 Prozent die Pensionisten. Sepp Wallenberger, Mitarbeiter der Arbeitsgemeinschaft für Regionalentwicklung und damit eine Art Entwicklungshelfer im In land, stellt trocken fest: "Kautzen ist nicht einmal als Schlafort für die Bezirksstadt Waidhofen attraktiv, weil die Entfernung zu groß ist."
Aber so erstaunlich es klingen mag, die Gemeinde prosperiert.
Wallenbergers nächster Satz, ohne Anflug von Ironie: "In Kautzen
spielt sich schon das nächste Jahrtausend ab." Solche Sätze hört man
sonst nur über Megametropolen wie Tokio und Los Angeles. Doch auf ihre
Art hat sich die Gemeinde zu einem Paradebeispiel für ökosoziale
Marktwirtschaft gemausert.
"Grünbemooste Spinner sind wir aber keine!" stellt Bürgermeister
Erwin Hornek (ÖVP) klar, während er stolz die Trocknungshalle für
3.500 Kubikmeter Hackschnitzel herzeigt. Nebenan werden damit jene
Öfen im Blockheizkraftwerk befeuert, mit denen die aus 20 Bauern
bestehende Genossenschaft rund 75 Prozent der Häuser mit Fernwärme versorgt.
Zwei der positiven
Auswirkungen: Die jährliche Kohlendioxyd-Belastung wurde um 150
Tonnen reduziert, die Bauern verdienen 1,7 Millionen Schilling pro
Jahr durch den Verkauf der Hackschnitzel an die Genossenschaft; das
Material fällt bei der Forstwirtschaft sowieso an und würde sonst
nur in den Wäldern verrotten. Hornek nennt noch einen Vorteil: "Vie
Leute, die an der Fernwärme hängen, haben statt einem Öltank oder
Kohlen jetzt einen Fitneßraum im Keller oder auch ein Weinlager."
Das unabhängige Dorf. Diese ganzheitliche Sicht der Dinge ist
typisch. Allc erdenklichen Nebenerscheinungen eines Projekts werden
bei den Überlegungen miteinbezogen und bewertet; so auch bei der
Rapsöl-Anlage, die Mitte September ihren Betrieb aufnahm. Aus
den Samen soll nicht nur hochwertiges, weil kaltgepreßtes Speiseöl,
sondern auch der Treibstoff für eine KraftWärme-Koppelung gewonnen
werden, die das Blockheizkraftwerk ergänzt. Damit wäre der Ort nicht
nur von Wärmetransporten, etwa durch eine Erdgasleitung, sondern
auch von Stromlieferungen unahhängig. Hornek: "Biomasse aus der
Region wird in Energie für die Region umgewandelt." Schmackhafter
Nebeneffekt: Die Preßrückstände des Raps können als Kraftfutter in
der Viehzucht verwertet werden, was den Kauf von Eiweißprodukten wie
Soja aus den USA überflüssig macht.
Erwin Hornek: "Was wir hier machen, ist letztlich nichts anderes als das bäuerliche Kreislauf denken, das es seitJahrtausenden gibt zwecks Erhaltung der drei Lebensgrundlagen Boden, Luft und Wasser." Party im Müll. Beim Müll wird ebenfalls der geschlossene Kreislauf angestrebt. Durch Überzeugungsarbeit, zu der unter anderem die Veranstaltung von "Kompostpartys" gehört, bei denen den Einwohnern die Mülltrennung beigebracht wird, löst der Ort den Großteil des Entsorgungsproblems. Die Partys kosten der Gemeinde zwar 4.500 Schilling pro Jahr, dafür spart sie knapp eine Million Schilling an Müllgebühren. Doch auch hier kommt es zu Konflikten zwischen noblem ökologischem Streben und handfesten Arbeitsplatzsorgen. Rund 70 Familien wollten bei der Post die nicht persönlich an sie adressierten Werbebriefe abbestellen. Es stellte sich heraus, daß das einem Briefträger den Job kosten würde. Die Aktion wurde abgeblasen, Einladungen zu Heizdeckenwerbefahrten erreichen nun weiterhin den Ort. Trotz aller Probleme - "Autarkie" ist das Zauberwort, das Hornek immer wieder erwähnt. Doch die Unabhängigkeit bezieht sich nicht nur auf Erdgasleitungen und die Müllabfuhr Kautzen will vor allem in der Gestaltung seiner Zukunft unabhängig bleiben - so wie das kleine gallische Dorf, Heimat von Asterix und Obelix. Das würden auch andere Gemeinden gerne so machen, warum das aber hierauch ohne Zaubertrank möglich ist, dafür gibt es einige Gründe.
Einer davon heißt Manfred Stein, residiert in einer ehemaligen Greißlerei am Hauptplatz, ist Architekt und ein Mann vom Charme sowie der Wortgewalt eines Mundl Sackbauer. Als er 1984 mit seiner Familie aus Wien hierherzog, "war Kautzen ein bescheidenes Kaff", sagt Stein und zögert verdächtig lange beim Aussprechen des Wortes "hescheiden". Ein erfolgloser Aussteiger war der Architekt nicht, zu seinen bekanntesten Arbeiten gehört die Gestaltung der Fußgängerzone Favoritenstraße im Zuge des U-Bahn-Baus. In Kautzen war es letztlich auch der Untergrund, der Manfred Stein seine neue Lebensaufgabe vermittelte: 1985 mußte die Kanalisation des Orts erneuert werden. Manfred Stein redete dem damaligen Bürgermeister ein, hei dieser Gelegenheit doch gleich den Hauptplatz mit Mitteln der Dorferneuerung (siehe Kasten S. 52) gestalten zu lassen. Ein Brunnen wird aufgestellt, die Oberfläche mit lokalem Granit gepflastert, die Leitungen in den Boden verlegt. Umweltkunde in der Schule. Stein animiert die Volksschullehrer, Umweltkunde in den Unterricht aufzunehmen. Die erste praktische Übung findet am Sonntag vor dem alljährlichen Sonnwendfeuer im Juni statt. Wie üblich hat die Bevölkerung jeden nur erdenklichen Sperrmüll zu dem Scheiterhaufen gekarrt. Als die Kirchgänger nach der Messe vor das Portal treten bietet sich ihnen das Bild einer Deponie. Die Schüler haben den Mist auf einen Leiterwagen gcpackt, auf den Marktplatz gebracht und sortieren ihn dort in Sondermüll, Rohstoffe und gefahrlos verbrennbares Material. Als die Schule 1986 den Landes-Umweltpreis verliehen hekommt, schlägt anfänglichc Skepsis in Mitarbeit um. Manfred Stein gerät ins Schwärmen, denkt er an die Aktion zurück: "Das war Volksbildung im klassischen Sinn. Was das rote Wien für die zwanziger Jahre war, das wird Kautzen für die neunziger Jahre werden."
An der Dorferneuerung hat Stein aber dennoch Zweifel: "An sich wäre das ein basisdemokratisches Instrument. Das funk- tioniert aber nur, wenn die Basis damit umgehen kann, was mit der Obrigkeitsgläubigkeit hier aber nicht geht. Also ist die Dorferneuerung bei uns ziemlich russisch gelaufen. Eine kleine Gruppe - Bürgermeister, Lehrer, Architekt - hat die Entscheidungen getroffen und danach demokratisch legitimiert." Bauernschädel. Friktionsfrei läuft die Sache bis heute nicht. Die ständige Präsenz der Familie Stein, allein schon gegeben durch das Haus am Hauptplatz und das Pendeln des Architekten hinüber in den Gasthof, ist zwar wichtig, weil immer ein "Stein des Anstoßes" (Hornek), aber Manfred Stein weiß: "Für die Sache selber wär's besser gewesen, ich wär am Wochenende mit dem Mercedes aus der Stadt gekommen und hätt' den Bauernschädeln gesagt, was sie machen sollen."
1989 wird das Projekt ausgeweitet. Erwin Hornek führt die verstärkten Anstrengungen der Gemeinde auf die Erneuerung der dörflichen Dreifaltigkeit zurück: "Es ist ein neuer Pfarrer gekommen, ein neuer Bürgermeister gewählt worden und ein neuer Wirt am Hauptplatz eingezogen." Die Bauerngenossenschaft des Kraftwerks wird gegründet, für die alte Obermühle, Betriebsgelände einer pleite gegangenen Textilfirma, ein "Unternehmer mit ökologischer Gesinnung" (Hornek) gesucht. Inzwischen bewirtschaftet ein Handwerks. kollektiv die Mühle, woran sich die Bevölkerung erst einmal gewöhnen muß. Die Tischlerin Hertha Weber: "Am Anfang sind Spaziergänger vorbeigekommen und haben gefragt, ob wir Sex mit Partnertausch betreiben." Gerüchte wie diese sind längst ausgeräumt, Besucher interessieren sich inzwischen vor allem für die hier hergestellten Holzmöbel und die biologische Kläranlage hinter dem Haus.
Stein und Koch sehen keinen Zufall in dem "Zusammenlaufen von
Akupunkturlinien der Erde in einem Punkt, am Rande der Weltgeschichte
und doch in der Mitte Europas."
Der UFO-Landeplatz, gibt Stein freimütig zu, sei eigentlich nur ein
Nebenprodukt des Skorpionsteins. Anläßlich eines lllustrierteninterviews erfindet Stein
in Weinlaune das Kautzener Cape Kennedy. Prompt folgt ein
Sensationsbericht. Damit nicht genug: Aus der Fiktion wird Wahrheit,
als der nichtsahnende Besitzer des nämlichen Grundstücks, ein Bauer
aus der Nachbargemeinde, die Wiese einem Schotterunternehmer überläßt,
der sofort damit beginnt, das Gelände mit Schubraupen zu pla nieren.
Stein freut sich: "Ohne mein Zutun haben die mit der Errichtung des
UFO-Landeplatzes begonnen."
Alles Deppen? Den Skorpionstein kann die Bevölkerung noch
akzeptieren; schließlich wußten die Alten schon immer um die Eigenart
der Felsen, etwa des "Warzenbrünnderls", einem kleinen
Regenwasserbecken im Granit, in dem Hautausschläge gelindert wurden.
Die Begegnung der dritten Art auf dem UFO-Landeplatz hingegen nehmen
die Leute nicht so locker auf. Eine Krisensitzung des Gemeinderats
wird einberufen: "Die halten uns im Bezirk alle für Deppen", heißt es.
Stein erwidert: "Wer sind da die Deppen7 Ihr oder die Touristen, die
dafür zahlen, daß sie mit dem Bus nach Kautzen kommen dürfen?"
Inzwischen ist längst Gras über die Wiese, aber nicht über die Sache
gewachsen: Sanfter Tourismus wurde neben der Autarkie zum
Entwicklungsziel erklärt. Steins trockene Vorgabe: "Öko-Feminismus mit
esoterischem Touch; vom marktanalytischen Ansatz her eine klare Sache."
Resultat der überirdischen Werbekampagne: 9.000 Nächtigungen pro
Jahr. Der Neid anderer Gemeinden läßt nicht lange
auf sich warten: "Die kriegen alles vom Pröll geschenkt", wird
behauptet, weil die Gemeinde trotz der Investitionen mit nur
zirka fünf Millionen Schilling verschuldet ist. "Nix da!" wider.
spricht Hornek",Die sind selber schuld, weil sie sich hinter ihren
Stauden eingraben."
Doch Hornek warnt, das Kautzener Modell läßt sich nicht einfach nachmachen: "Adaptieren ist in Ordnung, kopieren ein Schwachsinn. Das sind alles Maßanzüge, die wir hier für un. sere Situation angefertigt haben." Es gäbe lokale Faktoren, die ent. scheidend für den Erfolg sind, etwa die 14 Vereine im Ort, die alle auf irgendeine Weise mit. arbeiten. Dazu käme die Abgeschiedenheit. Manfred Stein: "Weil wir immer hinten waren, sind wir jetzt vorn."